Ein neuer Messias für Oberammergau: So war der Tag der Entscheidung
– Vielleicht seit einer Minute steht sein Name vorne an der Schiefertafel direkt vorm Oberammergauer Passionstheater. Rochus Rückel. Daneben steht noch ein Wort: Jesus. „Man traut sich gar nicht, das zu träumen“, sagt der 22-jährige, mit Fünftagebart, schwarzen Locken und Wolljanker. „Wahnsinn“, sagt er. „Wahnsinn, Wahnsinn.“ Ab jetzt ist der Student der Luft- und Raumfahrttechnik der offizielle Sohn Gottes.
Rochus Rückel, Hobbys Drachenfliegen und Theater, wird von Mai bis Oktober 2020 mehrmals die Woche ans Kreuz genagelt werden. Karten in der ersten Reihe werden 180 Euro kosten. Die Oberammergauer rechnen mit einer halben Million Zuschauer. Alle zehn Jahre wird aus einem Bergdorf mit Herrgottschnitzern und Souvenirshops, die Neuschwanstein-Poster und Kuscheltiere in Tracht verkaufen, ein Weltereignis.
Mittendrin Jesus, klar. Rückel hat sich am Samstagmorgen den Wecker gestellt, aber er war eh schon wach. Er hat geahnt, dass er eine der 21 Hauptrollen bekommen wird. Aber Jesus, nein, damit rechnet man nicht. Jetzt zittert er am ganzen Leib, immer wieder umarmt ihn wer. „Super, Rochus“, sagt einer. Ein anderer, der auch mal den Jesus gespielt hat, sagt: „Ziag di warm o.“
Dann kommt Frederik Mayet zu Rochus Rückel. Mayet, 38, hat 2010 den Jesus gespielt. Auch 2020 wird er den Sohn Gottes spielen, sein Name steht seit ein paar Minuten ebenfalls vorne auf der Schiefertafel. Denn: Die wichtigen Rollen sind doppelt besetzt. Zwei Jesusse, zwei Marien, zwei Petrusse – in Oberammergau ist vieles anders als im Rest der Welt. Mayet und Rückel umarmen sich. Jesus Mayet sagt: